Liebe Marita, bitte stelle dich kurz vor.
Ich bin ein Change Angel. Seit mehr als 15 Jahren gestalte ich Projekte und Veränderungen in Unternehmen. Und ähnlich wie ein Business Angel gehe ich dabei in die Rolle der Möglichmacherin, unterstütze und befähige interne Projektleiter, Mitarbeiter und Führungskräfte, neue Wege zu gehen und Neues zu erreichen. Ich bin also de facto eine Menschen- und Organisationsentwicklerin; Projekt-, Prozess- und Change Management, agil wie klassisch, kombiniert mit Führung und Kommunikation sind meine Werkzeuge. Dabei kommt mir zugute, dass ich selbst aus langjähriger praktischer Erfahrung im Unternehmen die Rollen als Führungskraft, Projektmanager und Veränderer unter hohem operativen Druck sehr gut kenne mit allen Stolperfallen und Erfolgsfaktoren.
Du kommst ursprünglich aus dem Journalismus. Wo siehst du Parallelen zwischen Journalismus und Projektmanagement?
Ja, bevor ich ins IT-Projektmanagement gewechselt bin und das auf neue Grundlagen gestellt habe, war ich Chefredakteurin des Nachrichtensenders N24. Die wichtigste Parallele ist, dass es in beiden Rollen neben dem unverzichtbaren fachlichen Handwerk für den Erfolg unbedingt ausgeprägte Kommunikations- und Führungskompetenzen braucht.
Hieran schließt sich die Frage an, welche Kompetenzen du aus dem Journalismus in das Projektmanagement einbringen konntest?
Gleich mehrere: Allen voran die Klärungskompetenz, also die Gabe und den Mut, die richtigen Fragen zu stellen, hartnäckig zu sein und auch unbequem, was gar nichts mit unangenehm oder gar unverschämt zu tun hat, das kann man durchaus sehr charmant machen. Es geht um den notwendigen Erkenntnisgewinn, um ein Thema oder eben Projekt zielgerichtet vorantreiben zu können. Zum anderen die Kompetenz und die Lust, mich immer wieder schnell und zugleich tief und gründlich in ganz neue Themen- und Problemstellungen einzuarbeiten. Und drittens die Kompetenz, komplexe Themen sinnvoll zu ‚zerlegen‘ und verständlich aufzubereiten für ganz unterschiedliche Zielgruppen. Journalisten und Projektmanager müssen Menschen erreichen, sonst machen sie keinen guten Job.
Wie wurde Projektmanagement früher wahrgenommen? Wie hast du schrittweise das Ansehen für Projektmanagement bei deinem alten Arbeitgeber, einem börsennotierten Medienunternehmen, erhöht?
Als ich die Aufgabe übernommen habe, eine Abteilung für professionelles Projektmanagement innerhalb des Technologiebereichs des Unternehmens aufzubauen, waren die wichtigsten IT-Projekte in der Sackgasse. Das lag keineswegs ausschließlich an der IT. Wir haben damals ein großes Projekt gestoppt, das bereits an die Wand gefahren war, und ein weiteres für längere Zeit unterbrochen, ausgewertet und verändert neu aufgesetzt. In der neuen Abteilung habe ich mit den Mitarbeitern zunächst ein gemeinsames Verständnis von Projektmanagement und seinen Erfolgsfaktoren in diesem Umfeld erarbeitet und dann gezielt die Kommunikations- und Führungskompetenzen der Projektleiter weiterentwickelt. Zudem habe ich gemeinsam mit HR und Kollegen aus operativen Fachbereichen eine Bestandsaufnahme des Projektmanagements im Gesamtunternehmen gemacht. Das, was bereits an Grundlagen und Vorgehensweisen vorhanden und bewährt war, haben wir aufgegriffen, ergänzt und darauf aufbauend neue Trainings- und Unterstützungsangebote konzipiert. Entscheidend war aber sicherlich auch, dass ich sehr schnell persönlich ein Produktentwicklungsprojekt geleitet und erfolgreich umgesetzt habe, das Aufmerksamkeit im gesamten Unternehmen bis in den Vorstand hinein hatte. Dadurch war Projektmanagement als erfolgreiches Vorgehen erlebbar und glaubwürdig, ohne dass ich die Methode selbst thematisiert hatte.
Du hast viel Erfahrung als Frau in einer Männerdomäne gesammelt. Welche Tipps würdest du jüngeren Frauen gerne auf den Weg geben?
Nicht nur jüngeren Frauen: Raus aus der Rechtfertigung und der Falle, es allen recht machen, alles gleich gut hinkriegen, sich selbst und anderen (zu) viel beweisen zu wollen. Lasst uns selbstbewusst, frech und gewinnend sein, innere Klarheit finden, was wir selbst jeweils wirklich wollen, wann etwas für uns selbst ein guter Deal wäre – und das entsprechend klar äußern und einfordern. Dabei helfen auch Schlagfertigkeit und die Haltung, Fragen gar nicht erst zu beantworten, die Männern nie gestellt werden. Ist doch absurd, dass es ‚Männerdomänen‘ gibt, obwohl längst nachgewiesen ist, dass sich Geschlechterdiversität in Führungsrollen für Unternehmen wirtschaftlich auszahlt.
Was ist dein Wunsch für Frauen in der Arbeitswelt?
Meines Erachtens braucht es weniger den Fokus ‚Frauen in der Arbeitswelt‘ als vielmehr Familien, Vielfalt und Flexibilität in der Arbeitswelt. Nicht Frauen werden die Vereinbarkeit von Familie und Beruf voranbringen, sondern Väter und Mütter, die sich von alten Rollenbildern lösen und diese mutig und selbstbewusst vertreten und einfordern. Dasselbe gilt für alle Menschen, die die bislang noch vorherrschenden Arbeits- und Präsenzmodelle sowie hierarchischen Strukturen in Unternehmen nicht nur kritisch hinterfragen, sondern aktiv und konstruktiv mitgestalten. Unternehmen müssen sich meines Erachtens nicht in den ‚war for talents‘ begeben; die Zahl der jungen Nachwuchskräfte bleibt nun mal begrenzt. Firmen haben viel mehr zu gewinnen, wenn sie auf Vielfalt in Alters-, Ethnien- und Genderzusammensetzung sowie der Lebensmodelle setzen. Und indem sie die agile und digitale Transformation endlich nicht mehr auf Tools und Techniken reduzieren, sondern die wahren Erfolgshebel betätigen: agile Werte und neue Kollaborations- und Führungsmodelle gemeinsam entwickeln und leben. Dann wird und bleibt die Arbeitswelt im Unternehmen wirklich attraktiv.